Hortreform und Ganztagsschule – nur freiwillig, ohne Qualitätsverlust, mit Vielfalt und flexibel!

Schulsenator Rabe und der zur Vertragsunterzeichnung am 27.1.2012 anwesende Mitarbeiter der Sozialbehörde – Senator Scheele und sein Staatsrat waren gar nicht erst gekommen – mussten im Rahmen der vorangegangenen Pressekonferenz auf Nachfrage der Journalisten einräumen, dass die betroffenen Eltern bzw. deren gesetzliche Vertretung: der Landeselternausschuss (LEA) nicht über die Einzelheiten des Entwurfs des Landesrahmenvertrages (LRV-GBS) informiert worden und auch nicht dazu angehört worden sind.

Der am 27.1.2012 unterzeichnete Vertrag ist damit formell rechtswidrig. Gemäß § 25 des Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG) sind Information und Anhörung der betroffenen Eltern durch die Sozialbehörde zwingend vorgeschrieben:

§ 25 Bezirks- und Landeselternausschuss

(1) …

(2) … Die für die Jugendhilfe zuständige Behörde hat den Landeselternausschuss über wesentliche die Kindertagesstätten betreffende Angelegenheiten zu informieren und zu hören.

Auf die weitere Nachfrage, ob denn der zwischen Behörden und Trägern ausgehandelte Vertragstext dem Landeselternausschuss überhaupt vorab zur Kenntnis gegeben worden ist, kam von Seiten der Träger sogar die zynische Antwort, der Vertrag habe doch bei Facebook gestanden.

Völlig unabhängig davon, ob die Rechtswidrigkeit des heute unterzeichneten Vertrages nachträglich durch eine Anhörung des LEA geheilt werden kann, haben Schulsenator Rabe und sein Kollege Sozialsenator Scheele eine große Chance vertan. Denn der am 27.1.2012 unterschriebene Vertragstext klammert alle wesentlichen Fragen aus:

  • unklar ist, wie viel die Betreuung der Kinder vor 8 Uhr und nach 16 Uhr sowie in den Ferien kosten wird. Schulsenator Ties Rabe hat ein neues Gebührenmodell "noch vor den Frühjahrsferien" angekündigt – böse Überraschungen für die Eltern nicht ausgeschlossen
  • offen ist weiterhin, ob die 36 Grundschulen, die einen Antrag auf GBS-Nachmittagsbetreuung bei der Behörde gestellt haben, bei ihrem Vorhaben bleiben, nachdem sie erst nachträglich vom Schulsenator erfahren haben, dass die gesamte Organisation der Mittagsverpflegung von der Auswahl über den Einkauf, die Essenausgabe, das Spülen des Geschirrs bis hin zur anschließenden Reinigung der Räume für die Essenausgabe in der Verantwortung der Schulen liegen soll – finden sich genug Lehrkräfte für diese Aufgaben (anders als an den weiterführenden Schulen scheiden die GBS-Grundschuleltern für eine ehrenamtliche Übernahme dieser Arbeiten aus, da sie ja berufstätig und auf die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder angewiesen sind)
  • die Organisation und rechtliche Verantwortung für die Aufsichtspflicht während der Mittagsverpflegung ist nach wie vor ungeklärt
  • die wenigsten Grundschulen verfügen über Kantinenräume, in denen eine vernünftige Verpflegung der Kinder möglich wäre, rechtzeitige Zubauten verspricht auch der Senator nicht
  • die seit langem versprochene Evaluation der Erfahrungen aus den GBS-Pilotschulen steht noch immer aus, so dass die 36 Grundschulen, die sich für einen Start im Sommer angemeldet haben, „das Rad neu erfinden“ und jede für sich die gesamte Vorbereitung und Planung neu leisten muss – mit allen eventuellen Fehlern, die man bei einer rechtzeitigen Evaluation hätte vermeiden können
  • es fehlen bis heute Mindeststandards für die GBS-Schulen (Räumlichkeiten und deren Ausstattung, pädagogisches Konzept, Flexibilität bei den Betreuungs- und Abholzeiten  u.a.)

Die eigentlich interessante Frage ist damit in den kommenden Wochen, wie viele der 36 Grundschulen, deren Schulkonferenzen gutgläubig einen Antrag auf Bewilligung einer GBS-Nachmittagsbetreuung gestellt haben, an ihrem Antrag überhaupt festhalten werden.

Für alle Eltern, die ihr Kind zur Zeit in einem guten Hort untergebracht haben, wird die bisher von den Behörden und Trägern lediglich als Stückwerk vorgestellte Planung keine wirkliche Alternative sein. Da § 18 LRV-GBS hinaus die Wahlmöglichkeit zwischen Hort und GBS-Betreuung in der Schule unberührt lässt, ist hier noch mit einiger Bewegung in Richtung Horte statt GBS-Schulen zu rechnen.   

Wir halten Sie über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden!

Weitere Informationen erhalten Sie durch Anklicken der Seiten "Presse" bzw. "Infomails" oben im Menü.  Ferner lesenswert sind folgende Berichte:

Eltern wollen Qualitättaz v. 13.1.2012

Hort-Vertrag festgezurrt - taz v. 13.1.2012

Hortreform rückt ein ganzes Stück näher - WELT v. 13.1.2012

Ein Vertrag mit HindernissenWELT v. 12.1.2012

Gefährliche DynamikWELT v. 12.1.2012

Die Forderungen des Elternetzwerkes "Wir wollen lernen!" sind klar und unabhängig davon, worauf sich die Behörden und die Hortträger jetzt in einer Landesrahmenvereinbarung verständigen. Denn "Wir wollen lernen!" geht es nicht um Verwaltungsinteressen von Behörden oder wirtschaftliche Interesen von Hortträgern, sondern ausschließlich und allein um die Interessen der Kinder und ihrer Familien:

  • Die Schaffung zusätzlicher Ganztagsangebote auf freiwilliger Basis ist zu begrüßen. Viele Familien sind auf ein gutes Betreuungsangebot auch am Nachmittag angewiesen.
  • Freiwilligkeit solcher Ganztagsangebote bedeutet aber zugleich ein Individualrecht der Eltern, über die Teilnahme ihres Kindes an solchen Angeboten zu entscheiden – und nicht, wie Schulsenator Rabe es gerne auslegt, behördlich angeordnete Mehrheitsbeschlüsse in Schulkonferenzen, in denen Eltern durch Schulleitung, Lehrkräfte und nichtpädagogisches Personal überstimmt werden.
  • Das bisherige Angebot der Kita- und Hort-Träger bietet eine große und pädagogisch ausgereifte Vielfalt, die es zu erhalten gilt. Eine Verlagerung der Nachmittagsbetreuung in die Schul- und Klassenräume darf nicht dazu führen, dass die Kinder dort nur noch in großen Gruppen verwahrt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass Schul- und Sozialbehörde den geplanten Betreuungsschlüssel nachbessern (siehe dazu auch WWL-Infomail v. 11.1.2012: Rechtsgutachten: Rabes Pläne für Ganztagsbetreuung von Vorschülern rechtswidrig).
  • Für viele Familien ist es wichtig, dass auch die zeitliche Flexibilität beim Abholen der Kinder erhalten bleibt. Organisatorische Bequemlichkeit und „Kostenneutralität“ des Modells dürfen nicht dazu führen, dass Eltern und Familien sich in ein behördlich organisierte Rasterschema einpassen müssen und die Kinder dadurch weniger in den Genuss elterlicher Förderung kommen.

Herzliche Grüße,

Ihr Team "Wir wollen lernen!"