"Wir wollen lernen!" - Elternwahlrecht und individuelle Schulbildung ab Klasse 5

Langes einsames Lernen - Die Goetsch-Pläne

Das Primarschul-Gesetz vom Oktober 2009 mit den Änderungen, die von den Parteien CDU, GAL, LINKE und SPD im März 2010 als Nachbesserung beschlossen worden sind (zum Pseudo-Elternwahlrecht siehe unten zu Ziffer 5), enthält nur eine Reihe von Andeutungen dazu, wie sich die Schulsenatorin und ihre Planungsgruppe die "Primarschulen" vorstellen. Nähreres dazu erfährt man indes im sog. Rahmenkonzept.

Eine druckfähige Version dieser Übersicht haben wir anliegend als pdf-Datei für Sie bereit gestellt. Zum Ausdrucken dieser Übersicht einfach hier klicken!

Am 2. Februar 2009 hat Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) das sog.  "Rahmenkonzept" ihrer Primarschul-Pläne vorgestellt:

Das schön klingende Versprechen vom "längeren gemeinsamen Lernen" entpuppt sich danach als Konzept für eine Schulstruktur, die für die betroffenen Kinder neben der Abschaffung der Gesamtschulen in erster Linie eines bedeutet: ein langes einsames Lernen!

Der Kern des "Rahmenkonzepts" findet sich in den Erläuterungen der Behördenpläne zur Primarschule auf den Seiten 10ff.:

1.    Primarschulen mit bis zu 3 Standorten

Die Behörde plant Primarschulen mit bis zu 3 Standorten (siehe S. 11.: "So ist es zum Beispiel möglich, an zwei oder drei Standorten Grundstufen unter je einer Abteilungsleitung und an einem weiteren Standort die gemeinsame Unterstufe einzurichten."). Rund die Hälfte der knapp über 200 Hamburg Grundschulen soll künftig nur als Teil-Standort einer Primarschule mit zwei, im Einzelfällen auch bis zu drei Standorten weiter exisiteren. Die Organisationseinheiten werden also größer. Die Kinder, die an solchen Primarschulen unterrichtet werden, sollen ihre Primarschulzeit entweder in vertikaler Teilung erleben (bei der die Jahrgänge 1-6 an den verschiedenen Standorten unterricjhtet werden) oder eine vertikale Teilung erleben, bei der sie z. B. nach Klasse 3 den Sandort wechseln, weil die sog. Unterstufe mit den Jahrgangsstufen 4-6 an einem anderen Standort der betroffenen Primarschule eingerichtet ist.

Gut für die Leitungen der Primarschulen, da diese bei größerer Schülerzahl mit einer besseren Besoldung nach Besoldungsgruppe A15 rechnen können (statt bisher A13 oder 14), schlecht für die Schülerinnen und Schüler sowie die betroffenen Lehrkräfte.

2.    Der "Klassenverband" wird abgeschafft

Der Begriff des Klassenverbandes findet sich im Primarschulgesetz nicht mehr. Statt dessen sollen die Schülerinnen und Schüler zwar organisatorisch noch einer "Klasse" zugeordnet sein, die von einer bzw. einem (statt bisher im Regelfall: zwei) Klassenlehrerin bzw. Klassenlehrer "geleitet" wird, die nach Art eines Tutors "für ihren beziehungsweise seinen schulischen Werdegang verantwortlich" sein soll. Die Organisation des Unterrichts der einzelnen Schülerinnen oder Schüler soll sich  aber künftig "an deren individuellem Bildungsweg [orientieren]. Sie kann unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Klasse erfolgen" (§ 11 Abs. 3 HmbSchG n. F.).

Die mit dem Unterricht im Klassenverband und zwei Klassenlehrern verbundene starke soziale Bindung zu Klassenkameraden und Klassenlehrerin bzw. Klassenlehrer soll es künftig nicht mehr geben (siehe auch Rahmenkonzept S. 11, rechte Spalte: "Eine auf Dauer angelegte Trennung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Klassen oder Lerngruppen ist nicht vorgesehen."). Dies benachteiligt vor allem die lernschwächeren Kinder und Kinder mit ADS bzw. ADHS, da diese Kinder besonders auf eine starke persönliche Beziehung in ihrer Lerngruppe angewiesen sind. 

3.    Jahrgangsübergreifender Unterricht über 3 Altersstufen

Die Kinder sollen schon "in der Grundstufe der Primarschule nach Möglichkeit jahrgangsübergreifend unterrichtet" werden (S. 11, linke Spalte), und zwar möglichst über 3 Jahrgänge hinweg (siehe S. 11, rechte Spalte: "… besonders wirksam…, wenn mehr als zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet werden."). 

4.    Nur noch jährliche "Lerntentwicklungsberichte"

Es sollen zwar in "allen Jahrgangsstufen … mindestens zwei Lernentwicklungsgespräche" mit den Eltern stattfinden, "die in eine schriftliche Lernvereinbarung zwischen der Schülerin oder dem Schüler, den Eltern und den Lehrkräften münden" (S. 14, linke Spalte). Statt halbjährlicher Zeugnisse sollen jedoch in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 jeweils nur noch "einmal jährlich", ab Jahrgangsstufe 4 auch zum Schulhalbjahr ein Zeugnis in Form eines "Lernentwicklungsberichtes" erhalten (§ 44 Abs. 2 HmbSchG n. F.). Erst zum Halbjahr der Jahrgangsstufe 6 - also erstmals zur Anmeldung auf eine weiterführende Schule - und dann noch einmal ab dem Halbjahr der Jahrgangsstufe 9 und zum Ende der gesetzlichen Schulpflicht erhalten die Schülerinnen und Schüler Notenzeugnisse, ansonsten ab Jahrgangstufe 4 "Leistungsbewertungen in Punkten oder Noten" (§ 44 Abs. 2 HmbSchG n. F.).

Diese Aufspaltung der "Lernentwicklungsberichte" in eine Vielzahl von unterschiedlichen Bewertungsformen nicht nur während einer Schullaufbahn, sondern auch zwischen den Schulen und evtl. auch innerhalb einer Schule (Stichwort: "oder") führt dazu, dass das Bewertungssystem für viele völlig unübersichtilich wird. Gleichzeitig wird durch die weitgehende Verschriftlichung der Lernstandsbewertung  alle Kinder benachteiligt, deren Eltern nicht in der Lage sind, sprachlich feinsinnig formulierte Lernentwicklungsberichte in ihrem wahren Bedeutungsgehalt zu verstehen. Das benachteiligt Kinder mit Migrationshintergrund ebenso wie zahlreiche andere Kinder.  

5.    Pseudo-Elternwahlrecht in Klasse 6 ("verflixtes 7. Jahr")

Das im März 2010 im Rahmen Nachbesserungsgesetzes von  CDU,  GAL, den LINKEN und der SPD beschlossene angebliche "Elternwahlrecht" in Klasse 6 ist gegenüber dem bisherigen echten Elternwahlrecht in Klasse 4 nur ein Pseudo-Elternwahlrecht:

Zwar können die Eltern in Klasse 6 nach dem Nachbesserungsgesetz ihr Kind für die Klasse 7 auf ein Gymnasium anmelden. Die Parteipolitiker von CDU, GAL, LINKE  und SPD haben dies jedoch so ausgestaltet, dass die Lehrkräfte der Zeugniskonferenz in der weiterführenden Schule diese Entscheidung der Eltern schon in der Zeugniskonferenz in der 7. Klasse wieder kassieren und die Kinder vom Gymnasium fortschicken können (§ 42 Abs. 5 HmbSchG n. F.)

Das damit ausgerechnet mitten in der Pubertät eingerichtete Probejahr im "verflixten 7. Jahr" wird zu Recht sowohl von der Elternkammer Hamburg als auch vom Deutschen Lehrerverband Hamburg (DLH) kritisiert. Denn es schwächt die Stadtteilschulen und führt dazu, dass Lehrkräfte über das schulische Schicksal entscheiden, die die Jugendlichen erst mitten in der Pubertät kennen lernen und evtl. nur für wenige Stunden in einem Nebenfach unterrichten - also kaum kennen. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Entscheidung der Zeugniskonferenz  erst kurz vor den Sommerferien, am Ende des Schuljahres (so tatsächlich: § 44 Abs. 5 Satz 2 HmbSchG n. F.) für die Familien zu unzumutbaren Härten führen würde, wenn diese dann während der Sommerferien einen Platz für ihr Kind an einer Stadtteilschule suchen sollen.

Der Deutsche Lehrerverband Hamburg (DLH) hat es in seiner Presseerklärung vom 15. März 2010 so auf den Punkt gebracht:

"Diese Regelung soll vor allem die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich im Sommer am Volksentscheid zu beteiligen, pädagogisch ist sie unverantwortlich. Man setzt Jugendliche nicht mitten in der Pubertät auf den „Schleudersitz“ eines Probejahres, das über ihre Schullaufbahn entscheidet."